Neue Ideen für die Fabrik der Zukunft

Innovationen wie UHF-RFID von Siemens machen Unternehmen fit für den Wettbewerb

Titelstory ident 2015-6:

Wie können deutsche Unternehmen im globalen Wettbewerb bestehen? Viele Firmen geben hierauf eine klare Antwort: durch überlegene Produktions- und Logistikkonzepte. Moderne Technologien wie Radio Frequency Identification (RFID) unterstützen diese dabei.

Die Wettbewerbssituation hat sich auf vielen Märkten in den letzten Jahrzehnten dramatisch verändert. Die gängige Auffassung, als Anbieter genüge es, entweder günstigere oder bessere Produkte anzubieten als der Mitbewerber, oder sich auf eine Nische zu spezialisieren, welche die „Großen“ nicht ausschöpfen können oder wollen, ist überholt. Heute sehen sich die Unternehmen mit einem Hyperwettbewerb konfrontiert. Das bedeutet: Anbieter bieten neue Produkte nicht nur günstiger und besser an als Mitbewerber, sie sind zudem in der Lage, so flexibel zu reagieren, dass sie auch bislang wenig interessante Nischenmärkte bedienen können. Gleichzeitig hat sich das Käuferverhalten durch die Transparenz des Internets stark verändert – der nächste Anbieter ist oft nur einen Mausklick entfernt. Standardisierte, global orientierte Einkaufsprozesse oder neue

Methoden wie das „E-Bidding“, die Versteigerung von Aufträgen auf Online-Plattformen, werden nicht mehr nur von Großkonzernen eingesetzt. Für deutsche Unternehmen sind Spezialisierung und High-Tech-Produkte das Mittel der Wahl, um im globalen Wettbewerb erfolgreich zu sein. Ein hoher Automatisierungsgrad und flexible Produktionsmaschinen erlauben es, effizient zu produzieren und dennoch ein breites Produktspektrum anzubieten – bis hin zur Losgröße Eins. Die Vernetzung der Maschinen mit geeigneten IT-Systemen (Manufacturing Execution Systems, MES) sowie die Nutzung von automatischer Identifikation (RFID oder 2D-Codes) sind wichtige Hilfsmittel, um dieses Konzept der kundenindividuellen Massenproduktion, Mass Customization, effizient zu realisieren.

Grenzen der klassischen Automatisierung

Doch die klassische Automatisierung hat auch ihre Grenzen, die weitere Kosteneinsparungen verhindern. Wird ein bislang manueller Arbeitsschritt automatisiert, hat dies hohe Auswirkungen auf die Produktivität. Soll ein bereits automatisierter Prozess noch weiter optimiert werden, ist der Zuwachs an Produktivität vergleichsweise gering, obwohl die erforderlichen Investitionen immer teurer werden. Ein Festhalten an bewährten Konzepten führt deshalb nicht zum gewünschten Erfolg. Dennoch ist und bleibt Automatisierung ein wesentlicher Faktor zur Steigerung der Produktivität, etwa durch geringere Kosten oder durch Reduktion von Fehlleistungen – und damit indirekt auch durch sinkende Kosten.

Lösungswege, um die Produktivität zu steigern

Für Industrieunternehmen bieten sich verschiedene Lösungswege an. Zum einen können Abläufe, die bislang vorwiegend manuell durchgeführt wurden, automatisiert werden. So ist zum Beispiel die Endmontage im Fahrzeugbau eine Art weißer Fleck in der Automatisierungslandschaft: In den ersten Phasen Presswerk, Rohbau und Lackiererei wird der Automatisierungsgrad auf rund 90 % geschätzt, während er im Bereich Endmontage nur rund 20 % erreicht. Ähnliches gilt für Teile der Logistik: Auch hier sind manche Prozesse, etwa die Beladung von Lkws, vor allem von manuellen Abläufen geprägt. Allerdings hat der hohe Anteil manueller Tätigkeiten einen guten Grund: Sie lassen sich bislang nur unzureichend durch Maschinen unterstützen. Nicht umsonst setzen viele Unternehmen beispielsweise große Hoffnungen in kollaborative Roboter, die diese und ähnlichen Aufgaben unterstützen. Auch die durchgehende Digitalisierung der Wertschöpfung mit Hilfe des sogenannten „Digital Twin“ (Digitaler Zwilling), das digitale Abbild aller Produkte und Prozesse in vollintegrierten IT-Systemen, erlaubt es, eine neue Stufe der Produktivität zu erreichen. So können Produktideen durch Simulationen schneller in die Realität umgesetzt und die notwendigen Produktionseinrichtungen aus den Design-Daten abgeleitet werden.

Ein zweiter Lösungsweg ist die Entwicklung und Nutzung von noch intelligenteren Automatisierungskonzepten, als es bisher der Fall war. Die bereits erwähnten kollaborativen Roboter sind eine Möglichkeit hierzu. Eine andere Variante verfolgt das gegenläufige Konzept: Hier wird der Automatisierungsgrad zugunsten einer flexibleren Produktion reduziert. Durch ein intelligentes Routing (Lenken) der Werkstücke zu einzelnen Bearbeitungszellen ist es möglich, die Nachteile einer reinen Fließfertigung zu eliminieren. Eine starr verbundene Taktung entfällt und die geringe Auslastung von Spezialmaschinen, die nur für einzelne Produktvarianten benötigt werden, kann flexibler gehandhabt werden.

Ganzheitliche Prozessbetrachtung für höhere Produktivität

Eine dritte Möglichkeit ist, Prozesse ganzheitlich über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg zu betrachten, das heißt über die eigenen Unternehmensgrenzen hinweg. Oft können weitere Potenziale gehoben werden, wenn die externen Schnittstellen zwischen Lieferanten oder Kunden und der eigenen Produktion und Logistik optimiert werden. So unterschiedlich die vorgestellten Ansätze sein mögen – eines ist ihnen gemein: Sie alle benötigen innovative Technologien zur Umsetzung. Neben neuen Ansätzen, zum Beispiel im Bereich Robotik, sind es vor allem Querschnittstechnologien, die im Sinne einer gesamtheitlichen Unternehmensinfrastruktur unverzichtbar sind. So ist eine leistungsfähige Kommunikation zwischen allen Komponenten, von der Feldebene bis zur Unternehmenssteuerung, erforderlich. Ethernet-basierte Echtzeitprotokolle wie Profinet schlagen die notwendige Brücke zwischen den maschinennahen Steuerungen und den IT-Systemen. Doch alle Funktionen müssen auch drahtlos zur Verfügung stehen, um die benötigte Flexibilität in der Fabrik der Zukunft zu gewährleisten.

Eine andere, wesentliche Infrastrukturtechnologie ist die automatische Identifikation. Nur wenn zu jedem Zeitpunkt abgerufen werden kann, wo sich welches Objekt, etwa Erzeugnis, Werkzeug, mobiler Roboter, befindet, ist es möglich, das daraus entstehende System auch zu steuern. Gerade Radio Frequency Identification (RFID) gilt oft als Schlüssel. Ist es doch damit möglich, aus passiven Dingen „smart objects“ zu machen – Dinge also, die alle Daten über sich selbst Identifikationsnummer, Produktionsinformationen, Qualitätsdaten, Kundenbezug usw.) mit sich tragen.

UHF-RFID birgt enormes Potenzial für Produktionsprozesse

RFID macht aber auch auf einen anderen, interessanten Aspekt aufmerksam. Die Technik an sich ist nicht neu – entwickelt im zweiten Weltkrieg zur Unterscheidung von Flugzeugen, werden RFID-Transponder und -Reader seit Jahrzehnten zum Beispiel in Automobilfabriken weltweit zur Steuerung der Produktion eingesetzt. Auch in anderen Bereichen – von der elektronischen Fahrkarte bis zur Identifikation von Nutztieren – ist RFID längst etabliert. Die Nutzung des UHF(Ultra-High-Frequency)-Bands um 865 MHz markiert einen wichtigen Entwicklungsschritt. Damit ist es möglich, große Reichweiten – mehrere Meter – mit kostengünstigen Transpondern, sogenannten Smart Labels, für wenige Cent zu realisieren. Dachte man bei der Einführung vor rund zehn Jahren vor allem an die Logistik, Distribution und den Handel, hat sich inzwischen gezeigt, dass UHF-RFID ein enormes Potenzial vor allem für die produzierende Industrie darstellt. Denn aufgrund der Beschaffenheit der Transponder und der des Gesamtsystems (Reichweite, Pulkfähigkeit, Standardisierung) können die Smart Labels nun direkt und dauerhaft in die Erzeugnisse eingebracht werden. Die dort gespeicherten Daten stehen dann auch den nachfolgenden Stufen der Wertschöpfung zur Verfügung, sei es „inhouse“ in einem anderen Produktionsabschnitt, sei es extern bei Partnern und Kunden.

Branchenweites Lieferantennetzwerk

Erstmals wurde dieses Konzept im RAN-Projekt (RFID-based Automotive Network) von einem Industrie- und Forschungskonsortium umfassend analysiert. Im Ergebnis wurden sieben Anwendungsfälle definiert, welche die einzelnen Stufen der Wertschöpfung abbilden und auch auf andere Branchen übertragbar sein sollen. Dabei wurden neben den üblichen Fragen nach der Lese- und Transpondertechnik auch die IT-Architektur, Prozessabläufe und die Rentabilität umfassend untersucht. Erste Schritte in die Umsetzung haben bereits viele Unternehmen gestartet. So nutzt die Firma ZF die UHF-RFID Technik zur Fertigung ihrer Getriebe.

Die Gehäuseteile werden dabei bereits vom Zulieferer mit einem UHF-Transponder ausgerüstet, so dass ZF bereits ab Wareneingang die Technik zur Identifikation nutzen kann. Die Transponder müssen dabei den widrigen Umständen der Getriebeproduktion trotzen – insbesondere bei den Reinigungsprozessen. Neben RFID sind auf dem Transponder auch ein Data-Matrix-Code sowie die Identnummer in Klarschrift aufgebracht. Die Datenträger verbleiben auf den Getrieben, werden derzeit aber noch nicht weiter genutzt. Auch Faurecia hat die Stoßfänger-Produktion im Werk Pappenheim auf die Nutzung von UHF-RFID-Technologie umgestellt. Hier werden die Kunststoffteile nach dem Spritzguss mit einem RFID-Label versehen, das die weiteren Produktionsschritte steuert. Damit wird eine höhere Prozessqualität erzielt, was in geringerem Ausschuss resultiert – neben zahlreichen weiteren Vorteilen. Die Technik überzeugt auch die Kunden von Faurecia: Erste Anfragen zur Nutzung der Funkchips liegen vor. Dementsprechend plant das Unternehmen den kontinuierlichen Rollout von RFID.

Auch außerhalb der Automobilbranche spielt UHF-RFID eine immer größere Rolle. So hat Siemens die Funkchips bei der Telefonproduktion im Werk Leipzig und im Logistikzentrum Eltersdorf eingeführt. In jedes Telefon wird ein Transponder eingebracht, der bei verschiedenen Fertigungsschritten verwendet wird. Der eigentliche Nutzen entsteht jedoch in der Logistik: Durch die lückenlose Erfassung kann der Gefahrenübergang automatisch gebucht werden und beim Warenausgang eine Zuordnung der einzelnen Seriennummern zum jeweiligen Lieferschein erfolgen. So können die Kommunikation mit den Kunden sowie das Management von Garantie- und Leasing-Rückläufern deutlich vereinfacht werden.

Fortschritte in der RFID-Technik

Dass diese und andere industrielle Applikationen heute möglich sind, liegt unter anderem daran, dass Lieferanten wie Siemens in den letzten zehn Jahren deutliche technische Fortschritte erzielen konnten. Zum einen sind die in den Transpondern eingesetzten Chips immer empfindlicher geworden, so dass auch größere Reichweiten stabil möglich sind. Zum anderen wurden die verfügbaren Speicher schrittweise erhöht – der Automatisierungsausrüster bietet inzwischen ein Label und einen Industrietransponder mit 4 kByte Speicher an. Damit ist es möglich, mehr als nur eine eindeutige Kennnummer (ID) auf den Transpondern zu speichern. Hohe Temperaturen oder die Anbringung auf metallischen Untergründen – vor zehn Jahren ein vieldiskutiertes Problem – sind heute machbar: Mit dem RF690L bietet Siemens ein Label, das beide Eigenschaften vereinigt. Das Label ist temperaturbeständig bis 230° C und kann direkt auf Metall aufgeklebt werden.

Auch bei den RFID-Readern hat sich viel getan. Die neueste Generation der Produktfamilie Simatic RF600 ist darauf optimiert, besonders schnell und einfach Lesestellen einzurichten und stabil zu betreiben. Die Benutzeroberfläche erfordert keine eigene Software – stattdessen wird in einem Browser-Fenster einfach die IP-Adresse des Readers (Lesegeräts) eingegeben und schon stehen alle Funktionen zur Verfügung. Zudem wurde die Benutzeroberfläche mit „Usage-Centered Design“ speziell für die Zielgruppe Ingenieure und Instandhalter gestaltet. Spezielle Funktionen zum Einmessen des Geräts und zur Ausrichtung der Antenne machen es möglich, eine Lesestelle auch in schwierigen Umgebungen innerhalb weniger Minuten in Betrieb zu nehmen. Auch für die Lese-Rate und die Ausfilterung von Überreichweiten wurden neue Funktionen implementiert. So bietet die integrierte Antenne des RF685R eine umschaltbare Polarisation, sodass der Reader automatisch die jeweils beste Einstellung ermitteln kann. Ebenso wird die benötigte Sendeleistung je Lesevorgang automatisch eingestellt. Auf diese Weise können sich die Lesegeräte automatisch, ohne Neueinstellung der Parameter, an wechselnde Umgebungsbedingungen anpassen. Schließlich wurden spezielle Verfahren programmiert, um zwischen Überreichweiten und den gewünschten Transpondern zu unterscheiden – einige davon sind zum Patent angemeldet. Doch damit nicht genug. Ein wichtiger Aspekt zukünftiger Automatisierungskonzepte ist die Integration der RFID-Lesegeräte in unterschiedliche Zielsysteme, wie speicherprogrammierbare Steuerungen oder IT-Applikationen. Auf Basis der OPC Unified Architecture (OPC UA) wird dies künftig besonders einfach und damit kostengünstig möglich sein. Eine Expertengruppe des Branchenverbands für Automatische Identifikation (AIM) erarbeitet derzeit zusammen mit der OPC Foundation einen entsprechenden Standard. Erste Konzeptimplementierungen zeigten Siemens und Harting bereits auf der Hannover Messe 2015.

Innovation als strategischer Hebel

Das Beispiel RFID zeigt, wie die Nutzung moderner Technologien neue Potenziale für Produktionssteigerungen erschließt. Doch die Einführungsentscheidung darf nicht allein aus kurzfristigen Return-on-Invest(RoI)- Überlegungen heraus gefällt werden. Konzepte wie RFID, leistungsfähige Kommunikationsnetze oder der „Digital Twin“ ermöglichen es vielmehr, neue, nachhaltige Wettbewerbsstrategien zu entwickeln.

Unverzichtbare Komponenten für die erforderliche digitale Infrastruktur sind dabei leistungsfähige Kommunikationsnetze und eine zuverlässige, automatische Synchronisation der virtuellen Prozesse mit den realen Abläufen. Für beide Aspekte hat Siemens ein einzigartiges Portfolio entwickelt und bietet mit Simatic Net für hochperformante industrielle Netzwerke und mit Simatic Ident für die industrielle Identifikation per RFID oder per optischer Identifikation zwei hochwertige Bausteine für die Digitalisierung.

Weitere Informationen:
Markus Weinländer
Leiter Produktmanagement
Siemens AG
Digital Factory / Process Industries and Drives
www.siemens.de/ident

 

Das Unternehmen Faurecia liefert seine Stoßfänger künftig mit RFID-Transponder.
Bei Produktion und Versand von Telefonen im Logistikzentrum in Eltersdorf optimiert RFID die Lieferkette.
Die durchgängige Identifikation über die gesamte Wertschöpfungskette bietet hohes Potenzial für Weitere Produktivitätssteigerungen.